Ein Team nahe an der Perfektion
Nationalmannschaft | 28.10.2024Die Deutsche Nationalmannschaft im Powerchair Hockey holt Silber bei der Europameisterschaft in Dänemark.
KORSOR, DÄNEMARK. Mit dem Ziel und der Hoffnung, um die Medaillen mitzuspielen, war die Deutsche Nationalmannschaft im Powerchair Hockey zur Europameisterschaft gereist, die vom 23. bis zum 27. Oktober beim amtierenden Weltmeister Dänemark stattfand. Schließlich war die Mannschaft von Bundestrainer Gerd Autenrieth bei der Weltmeisterschaft 2022 nur auf einem, gemessen an den eigenen Ansprüchen, enttäuschenden sechsten Platz gelandet. Diesmal aber wurde nicht nur eine Medaille, sondern sogar das Finale erreicht – und Deutschland hatte bei der knappen 7:9-Niederlage sogar eine Hand an der Goldmedaille.
Über das gesamte Turnier hinweg wurde die Mannschaft von einer intensiven Vorbereitung mit acht mehrtägigen Lehrgängen innerhalb der vergangenen beiden Jahre getragen und konnte zudem darauf bauen, dass sich ein Großteil der Spieler*innen sehr gut aus dem gemeinsamen Verein (Black Knights Dreieich) kennt. Doch auch die weiteren Aktiven aus Ladenburg, Berlin und Ludwigshafen fügten sich komplikationslos in das Mannschaftsgefüge ein. Unterstützt durch ein starkes „Team hinter dem Team“ bestehend aus Trainer, Assistenztrainer, Manager, Techniker, Arzt, PR-Beauftragtem und nicht zuletzt den zahlreichen persönlichen Assistent*innen waren die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Abschneiden gut.
Schon die erste Partie der zugegebenermaßen schweren Vorrundengruppe gab aber gleich einen ersten Dämpfer für die euphorischen Deutschen. Gegen den favorisierten Rekordweltmeister Niederlande, der später auch Europameister werden sollte, setzte das deutsche Team frühe Nadelstiche, konnte die zahlreichen Pressing-Versuche aber nicht in Ballgewinne umwandeln, fing sich stattdessen ein ums andere Mal ein Tor durch einen Schnellangriff und verlor am Ende verdient mit 3:8.
Dadurch stand man schon in der zweiten Partie unter Druck. Eine Niederlage gegen die Schweiz, gegen die man in einem Testspiel 2023 noch 2:8 verloren hatte, hätte das Ausscheiden bereits in der Gruppenphase bedeutet. Deutschland ging aber hochkonzentriert und mit einer veränderten Aufstellung in das Match, lieferte sich einen offensiven Schlagabtausch mit den Eidgenossen, setzte sich in der zweiten Halbzeit ab und konnte mit einem 14:11 die Tür zum Halbfinale weit aufstoßen. Das dritte Gruppenspiel gegen Spanien sollte sich schon früh als Formsache erweisen (17:5). Das Trainerteam war froh, dass schnell eine souveräne Führung herausgespielt werden konnte und alle Spieler aus dem Kader eine ausführliche Einsatzzeit erhielten. In dieser Phase zeigte auch der 16-jährige Nachwuchsspieler Jakob Mergenthaler, dass er vielleicht schon bald eine leistungstragende Rolle im Team übernehmen kann.
Im Halbfinale galt es, das Duell gegen den Gewinner der anderen Vorrundengruppe, Italien, zu bestreiten. Brisant, denn seit 2018 konnte man nicht mehr gegen die Azzurri gewinnen. Davon ziemlich unbeeindruckt setzte Deutschland auf die Formation, die gegen das starke Schweizer Team erfolgreich war, und damit wieder auf die Qualitäten im Torabschluss von David Huber. Das Vertrauen der Trainer zahlte die Mannschaft um die beiden Spielführer Jörg Diehl und David Bauer zurück. Mit einer knallharten Verteidigung und mit einer kreativen und präzisen Offensive ließ man Italien nicht den Hauch einer Chance und machte von der ersten bis zur letzten Minute deutlich, wer das Finale um die Europameisterschaft bestreiten sollte. Auch die Zuschauenden rieben sich die Augen und waren beeindruckt von dem scheinbar problemlos herausgespielten 12:4 der deutschen Mannschaft: was für eine Revanche für die letzte WM-Halbfinalniederlage 2018 gegen den späteren Weltmeister damals. Besonders Superstar Nasim Afrah und seine nochmals weiterentwickelte, brillante Technik sorgte für offene Münder. Bei den letzten beiden Turnieren noch unglücklich ausgefallen, spielte er Ball und Gegner schwindelig, war überhaupt nicht zu stoppen im gesamten Turnier.
So war es also angerichtet… Und das Finale gegen die Niederlande wurde seinen hohen Erwartungen gerecht. Beide Teams zeigten sich als hochqualitative und perfekt auf den Gegner eingestellte Mannschaften. Deutschland hatte aus der Niederlage in der Vorrunde gelernt, stand in der Defensive gefestigter, streute nur noch einzelne Press-Verteidigungen ein und vertraute in der Offensive wieder auf die Dynamik und die Präzision von Spielmacher Afrah.
Der Hesse war es auch, der in einer rasanten Anfangsphase mit explosiv geführten Angriffen drei schnelle Tore für sein Team erzielen konnte und dem Publikum sowie den Experten, die die Niederlande als leichten Favoriten bezeichnet hatten, einmal mehr ein Staunen ins Gesicht zauberte. Oranje ließ sich von dem frühen 0:3 aber nicht schockieren, arbeitete sich Schritt für Schritt heran und erzielte kurz vor Ende der ersten Halbzeit mit einer bewundernswerten Einzelaktion von Jules van der Heyden sogar die 5:4-Führung. Gewährleistet wurde diese Aufholjagd vor allem dadurch, bei holländischen Angriffen die Wirkungskreise des beweglichen und auch in der Verteidigung umtriebigen Nasim Afrah durch hartnäckiges Blockieren von zwei oder drei Spielern einzugrenzen. „Nasim als unser Schlüsselspieler kennt diese Strategie und er lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen“, so Bundestrainer Gerd Autenrieth, „aber dennoch reduziert das unsere Möglichkeiten, in Ballbesitz zu gelangen.“
Infolgedessen waren die Spielanteile der Niederlande auch in der zweiten Hälfte des rassigen Endspiels größer als die der Deutschen. Nach einem schnellen 5:5-Ausgleich kurz nach Wiederanpfiff übernahm Oranje erneut die Kontrolle und spielte sich innerhalb von 15 Minuten ein 8:5 heraus. Mit enormer mentaler Stärke und dem sicheren Rückhalt einer glänzend aufgelegten Torhüterin Jessica Trommer konnte sich Deutschland aber wieder auf 7:8 heranarbeiten. Fortan erhöhte Deutschland den Druck und stellte eine Minute vor der Schlusssirene auf vollständiges Forechecking um. „In dieser Phase mussten wir auf Alles oder Nichts gehen“, beschreibt Spielführer Jörg Diehl die letzten Sequenzen, „und dass dann der Konter zum 7:9 unser gefühlter Genickbruch war, ist natürlich sehr bitter. Aber es verschleiert nicht, dass wir mit den Niederlanden auf Augenhöhe waren und dass wir erhobenen Hauptes zurück nach Deutschland fahren können. Wir sind stolz auf unsere Leistung, auf die Silbermedaille und auf die damit erfolgte Qualifikation zur Weltmeisterschaft.“
So wird die Mannschaft 2026 also mit breiter Brust nach Finnland fahren, um erneut nach Medaillen oder sogar nach dem Titel zu greifen. Wer mehr über den Sport und die Nationalmannschaft erfahren möchte, kann sich in den sozialen Medien informieren